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Unternehmen stehen heute vor einer gewaltigen Herausforderung: Transformiert euch! Doch was heisst das eigentlich? Wie sollen Entscheider vorgehen? Und wann ist die Transformation abgeschlossen?

Oliver Schneider, stellvertretender Chefredaktor der Netzwoche, stellt Bramwell Kaltenrieder herausfordernde Fragen.

Oliver Schneider: Dass sich Unternehmen wandeln müssen, um gegen ihre Mitbewerber eine Chance zu haben, ist nicht grundsätzlich neu. Warum ist das Thema Business-Transformation gerade jetzt in aller Munde?

Bramwell Kaltenrieder: Menschen und Unternehmen mussten sich schon immer neuen Gegebenheiten anpassen, um überleben oder neue Chancen wahrnehmen zu können. Dieser nötige Wandel wird massgeblich von äus­seren Veränderungen getrieben. Da die Anzahl der gleichzeitig auf alle Branchen einwirkenden Megatrends wie etwa die Digitalisierung, Globalisierung, Energiewende oder Mobilität in den vergangenen Jahren gewachsen ist, müssen sich Unternehmen heute fundamentaler mit ihrer Zukunft auseinandersetzen, als dies noch vor 10 oder 20 Jahren der Fall war.

Alle sprechen darüber, aber niemand definiert Transformation. Was verstehen Sie darunter?

Eine Business-Transformation ist eine Kombination aus grundsätzlichen Veränderungen in Strategie, Geschäftsmodell, Prozessen, Technologien und Kultur in einem Unternehmen oder Geschäftsbereich. Ziel dieses mittel- bis langfristigen evolutionären, iterativen Prozesses ist es, die Wettbewerbsfähigkeit im sich stark verändernden Umfeld erhalten oder gar ausbauen zu können. Ein Transformationsvorhaben setzt sich in der Umsetzung aus einer Vielzahl von kurz- und mittelfristigen Change-Management-Projekten zusammen, die sich jeweils auf einen einzelnen Prozess, ein System, eine Technologie, ein Team oder eine Abteilung konzentrieren.

Was ist der erste Schritt einer Business Transformation?

Das Top-Management muss vor dem Hintergrund der sich fundamental verändernden Markt- und Wettbewerbsbedingungen eine gemeinsame Überzeugung entwickeln, dass in der Organisation zwingend ein grundlegender Wandel notwendig ist. Dies ist oft viel schwieriger, als es auf den ersten Blick scheinen mag: Zum Beispiel geht es vielen Schweizer Unternehmen nach wie vor erfreulicherweise gut. Warum sollte sich daher die Geschäftsleitung eines börsenkotierten Unternehmens überhaupt erst mit einem zweifellos risikoreichen Unterfangen einer Transformation befassen und den kurzfristigen Verlauf des Aktienkurses gefährden?

Welche Ziele sollte man sich setzen und wie?

Im Gegensatz zur blossen Weiterentwicklung der bisherigen Strategie zum Beispiel über eine Angebotserweiterung will sich das Unternehmen im Rahmen einer Transformation schrittweise neu erfinden. Dabei sollen einerseits bestehende strategische Kompetenzen ausgebaut, andererseits neue aufgebaut werden. Da dieser Prozess in hohem Masse explorativen Charakter hat, stehen in den ersten Schritten visionäre Ziele im Vordergrund, die sich erst sukzessive konkretisieren lassen.

Wie schafft ein Unternehmen den Spagat zwischen Transformation und Tagesgeschäft?

Gefragt ist hier eine sogenannte organisatorische Ambidextrie: Beim Menschen bezeichnet Ambidextrie die Fähigkeit, beide Hände gleich geschickt einzusetzen. Im Unternehmen kann dies auf unterschiedliche Art und Weise bewerkstelligt werden: Je nach Situation bietet sich während einer gewissen Zeit die Trennung von bestehendem und neuem Geschäft an, wie dies etwa Swisscom bei der Einführung der Mobilkommunikation mit der damaligen Swisscom Mobile vorgelebt hat.

Was sind die grössten Sünden im Change-Management?

John P. Kotter hat die Herausforderungen im Zusammenhang mit Transformation und Change umfassend untersucht. Von seinen diesbezüglich identifizierten Punkten scheinen mir das Fehlen einer motivierenden, kräftigen Vision oder das Ausbleiben einer konsequenten Vorbildfunktion von Führungskräften im Veränderungsprozess die grössten Sünden zu sein. Zudem kann auch eine ausbleibende Auseinandersetzung mit der Veränderungsbereitschaft der betroffenen Mitarbeitenden fatale Auswirkungen haben.

Müssen neue Mitarbeiter gefunden oder die bestehenden weitergebildet werden?

Während im bestehenden Geschäft vor allem Mitarbeitende weitergebildet werden sollten, sind im neu zu etablierenden Geschäft auch neue Kompetenzen und eine hohe Diversität von Vorteil.

Braucht Business-Transformation einen neuen Manager-Typus? Welche Eigenschaften hat dieser?

Neben der klassischen transaktionalen Führung im operativen Bereich des bestehenden Geschäfts sind in der Transformation in hohem Masse auch transformationale Qualitäten erforderlich. Führungskräfte müssen verschiedene Ansichten und potenziell widersprüchliche Verhaltensweisen ermutigen und wertschätzen, anstatt Gleichförmigkeit zu fordern. Dies kann die Erprobung neuer Ideen und Experimente umfassen, um zu bestimmen, was Sinn ergibt und was nicht. Gekonnter Umgang mit Fehlern und Rückschlägen, echte Kooperationsfähigkeit, Agilität und ein hohes Mass an Kreativität und Kommunikationsfähigkeit sind hier Schlüsselqualifikationen.

Wie lässt sich verhindern, dass die Transformation im Projektteam und in einzelnen Initiativen isoliert wird und den Rest des Unternehmens gar nicht erfasst?

Wie gesagt, kann es je nach Ausgangslage schon auch Sinn ergeben, zumindest in einer ersten Phase der Transformation nicht alle Bereiche umfassend einzubeziehen. Soll dies aber tatsächlich geschehen, sind zum Beispiel bereichsübergreifende Vorhaben sinnvoll, für die jeweils ein Geschäftsleitungsmitglied als Sponsor agiert. Daneben gilt es je Bereich spezifische Visionsbeiträge zu definieren und umzusetzen. Schliesslich sind für Transformationen in der Regel auch Veränderungen in der Unternehmens- und Führungskultur Voraussetzung für den Erfolg – eine breite Verankerung neuer normativer Standards macht den Wandel oft erst möglich.

Transformation braucht Investition. Wie überzeugt man den CFO davon und stellt genügend Ressourcen bereit?

Wie eingangs erwähnt, ist für die Initiierung einer Transformation die geschlossene Überzeugung des Top-Managements von Bedeutung – GL und VR – dazu gehört auch der CFO. Man kann sich auch totsparen – die Aussage von Jack Welch, dem ehemaligen CEO von General Electric, ist auch in diesem Kontext treffend: «If the rate of change on the outside exceeds the rate of change on the inside, the end is near.» Neben zusätzlichen Ressourcen gilt es insbesondere, den Einsatz des ordentlichen Innovationsbudgets zu optimieren, zum Beispiel durch eine Verlagerung der Mittel von inkrementellen zu radikalen Innovationsvorhaben.

Wie behält ein Unternehmen in der Transformation den Faktor Zeit im Griff?

Auch wenn eine Transformation einen mittel- und langfristigen Zeithorizont hat, müssen für die verschiedenen parallellaufenden Initiativen Etappenziele definiert werden. Zwischenresultate haben auch in einer Transformation eine enorm wichtige Funktion auf dem Weg zum Ziel.

Ist eine Transformation je abgeschlossen?

Mit einer strategischen Transformation will ein Unternehmen ja einer starken Veränderung von Megatrend-getriebenen Markt- und Wettbewerbsbedingungen begegnen. Diese starken Trends dauern mehrere Jahrzehnte: während dieser Zeit entwickeln sich agile Unternehmen kontinuierlich.

Was kommt nach der Transformation?

Wir befinden uns in einer sehr bewegten Welt mit einer mittlerweile enormen Dynamik. Ich gehe daher davon aus, dass sich nicht eine plötzliche Ruhe einstellen und sich ein erfolgreiches Unternehmen in der Folge regelmäs­sig neu erfinden wird – es sei denn, es befindet sich in einem stark regulierten Markt.

Quelle: netzwoche.ch

Bramwell Kaltenrieder
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